Wie ich zum Jazz kam
Ich habe in letzter Zeit darüber nachgedacht, wie ich eigentlich selbst zum Jazz gekommen bin – und ich möchte ein bisschen davon erzählen. Vielleicht kann ich ja die eine oder den anderen dazu inspirieren, sich selbst einmal auf dieses musikalische Abenteuer einzulassen und etwas Neues zu entdecken.
Heute ist es ganz einfach: Mit ein paar Klicks hat man Zugang zu Millionen von Songs über moderne Streaming-Plattformen. Damals war das ganz anders. Wir mussten in die städtische Bücherei gehen, um uns Schallplatten auszuleihen – oder wir borgten sie uns von Freunden. Und wenn wir uns mal selbst eine Platte kauften, dann war das ein besonderes Ereignis.
Gerade Jazzplatten waren nicht überall leicht zu finden. Eine gute Auswahl gab es nur in wenigen spezialisierten Läden. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich manchmal weite Wege auf mich nahm, nur um in einem gut sortierten Plattenladen in einer anderen Stadt in der Jazz-Abteilung zu stöbern.
Am Ende meiner Teenagerzeit begann sich meine Liebe zum Jazz wirklich zu entwickeln. Dabei hatte alles ganz anders angefangen. Meine ersten musikalischen Helden waren The Sweet und Suzi Quatro. Dann kamen Queen und Udo Lindenberg, und mit 14 Jahren begann meine Deep-Purple-Phase. Kurz darauf entdeckte ich Pink Floyd – und dann kam die große Welle mit Punk, New Wave und der Neuen Deutschen Welle. Das alles spielte sich in den 70ern ab.
Mit 14 fing ich an, Gitarre zu spielen. Das verstärkte mein Interesse an Gitarristen natürlich noch mehr – die Gitarre stand ja sowieso im Zentrum der Rockmusik. Anfang der 80er muss es gewesen sein, als ich zunehmend Gefallen an Rock-Jazz und Jazz-Rock-Fusion fand.
Zu Hause stand eine Platte in unserer Sammlung, die sich als wegweisend für mich herausstellte: Bright Size Life von Pat Metheny, 1975 erschienen. Ich glaube, die Freundin meines Vaters hatte sie einmal aus dem Plattenladen mitgebracht. Sie hatte ohnehin einen großen Einfluss auf meinen Musikgeschmack. Ich erinnere mich auch an Platten von Joan Armatrading, die ich damals eifrig hörte.
Und so kam eins zum anderen. Ich entdeckte Gruppen wie Spyro Gyra und Brand X – letztere war die Jazz-Rock-Band von Phil Collins, dem berühmten Schlagzeuger von Genesis.
Mit 19 entschloss ich mich schließlich dazu, Gitarrenunterricht bei einem Jazzgitarristen zu nehmen. Ich wollte tiefer in diese Musik eintauchen, sie besser verstehen, sie spielen lernen. Ab da hörte ich intensiv Jazzgitarristen und begann, mich mit der Geschichte des Jazzgitarrenspiels auseinanderzusetzen.
Ich lernte andere junge Männer kennen, die ebenfalls Gitarre spielten und versuchten, sich in den Jazz einzuarbeiten – was, nebenbei bemerkt, ein ziemlich schwieriges Unterfangen ist. Mit diesen Gitarrenfreunden teilte ich meine Begeisterung. Wir tauschten uns aus, hörten gemeinsam Musik, versuchten, das Gehörte nachzuvollziehen, zu analysieren, zu spielen.
Unsere Helden hießen Pat Metheny, John Scofield, John Abercrombie, Jim Hall, Scott Henderson, Allan Holdsworth, Mike Stern – und noch einige mehr. Wir saugten alles auf, was wir von ihnen finden konnten.
Neben den Gitarristen begann ich mich dann auch für die gesamte Jazzgeschichte zu interessieren. Ich entdeckte John Coltrane, Miles Davis, Chet Baker – und natürlich die großen Sängerinnen: Sarah Vaughan, Ella Fitzgerald, Billie Holiday, Betty Carter.
Vieles ergab sich damals eher zufällig. Es waren oft einzelne Platten, die einem durch glückliche Umstände in die Hände fielen – weil jemand anders sie hatte, weil man sie ausgeliehen bekam oder weil sie einem einfach ins Auge stachen.
Diese bestimmten Platten waren für mich wie Meilensteine. Sie haben tiefe Spuren hinterlassen und gehören bis heute zu meinen absoluten Lieblingsplatten – verbunden mit Erinnerungen, Stimmungen und Emotionen.
Eine davon ist The Touch of Your Lips von Chet Baker. Mein Gitarrenlehrer hatte diese Platte und lieh sie mir eines Tages aus – ein Schlüsselmoment.
▶️https://open.spotify.com/track/4QwzVlAJSkcLeCNQ6Ug30P?si=Z6De82EYSQWcpsAS6ZpvpQ&context=spotify%3Aalbum%3A6c2YK2NhQfnN1eyVqxF5bm
Ich tauchte völlig ein in die Welt von Chet Baker – in seine Musik, in seine Biografie, in sein tragisches Leben. Und dieses Leben hört man in seiner Musik.
Kein anderer spielt und singt mit so viel Seele, so viel Melancholie und Zerbrechlichkeit wie Chet. Er war der Inbegriff des empfindsamen Künstlers – ein schöner, junger Mann, von dem alle sagten, er sei der „zweite James Dean“. Frauen lagen ihm zu Füßen, die Karriere schien ihm zuzufliegen. Und doch stürzte er – erst innerlich, dann auch ganz real. Sein Leben endete tragisch, 1988 in Amsterdam, als er unter Drogeneinfluss aus einem Hotelfenster fiel. Und doch bleibt da diese Musik – so sanft, so traurig, so ehrlich. Eine Stimme, die mich bis heute berührt.
Ein weiteres prägendes Hörerlebnis war für mich das Duo von Joe Pass und Ella Fitzgerald:
▶️https://open.spotify.com/track/5FrJ6oZgD4RPyZ6QTjy4YH?si=6y0k9UD4SFeYPV0DUtmagg
Joe Pass inspirierte mich sehr – er brachte mir, zumindest gefühlt, den „Jazz-Groove“ für mein Gitarrenspiel näher. Es gelang mir damals, diesen Groove halbwegs aufzugreifen, und ich übte fleißig.
Doch rückblickend muss ich sagen: Für eine große Laufbahn als Jazzgitarrist fehlten mir wohl ein wenig das Talent – und vor allem die riesengroße Disziplin, die es gebraucht hätte. So schlug ich schließlich einen bürgerlichen Beruf ein. Aber dem Jazz bin ich als Hörer, als Liebhaber, als Fan bis heute treu geblieben.
In weiteren Blogbeiträgen werde ich noch mehr über meine musikalische Reise erzählen – mit weiteren Geschichten und Hörbeispielen, die mich geprägt haben.
Albumcover: © 1979 Concord Jazz – verwendet im Rahmen des Zitatrechts (§ 51 UrhG).

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